Es gehört zur langjährigen Gepflogenheit des SRK Kanton Zürich, dass die Präsidentin oder der Präsident an der Mitgliederversammlung eine Präsidialadresse an die Anwesenden richtet. In den vergangenen Jahren habe ich dies jeweils zum Anlass genommen, um an dieser Stelle von Henry Dunant, dem Gründer des Roten Kreuzes, zu erzählen, damit wir alle uns erinnern, wie diese grossartige Rotkreuzbewegung entstanden ist. Untermauert durch Zitate und Textausschnitte, habe ich Ihnen jeweils Geschichten über das Wirken von Henry Dunant erzählt und ich habe Ihnen nahe gebracht, von welchen Erlebnissen und Gefühlen der berühmte Henry Dunant sein Handeln herleitete.
Heute werde ich das nicht tun. Heute werde ich kein Zitat von Henry Dunant vorbringen. Heute werde ich nicht von Dunants Taten in Solferino berichten. Heute reden wir von einer Frau: Anne. Anne Anne, die Tochter eines Spitaldirektors, Mutter von 5 Kindern, wohnte anfangs des 19. Jahrhunderts mit ihrer Familie in ländlichem Gebiet.[1] Anne war bekannt für ihre mildtätige Gesinnung, für ihre Liebe und Sorge zu Menschen in Not. Obwohl dies damals unüblich war, gestattete Anne den Kindern des benachbarten Waisenhauses, ihren Garten zu benutzen, um sich dort unter den Büschen zu erholen. Vielleicht haben Sie schon darüber gelesen, wie lieblos und mit mangelnder Ernährung Waisenkinder damals aufgewachsen sind: Wir möchten solches nicht durchmachen müssen. Doch dabei blieb es mit dem Engagement von Anne keineswegs: Anne ging mit ihren Kindern zu Besuchen in Armenvierteln, wo sie Kranke aufsuchte und Notleidende beschenkte. Sie besuchte Kranke in Wohnungen, die eher Ställen als Wohnungen glichen, sie ging zu Menschen, die nichts ihr Eigen nannten. Sie besuchte mit ihren Kindern regelmässig das Unglück in Person, als eine Kette unsäglicher Leiden und Entbehrungen aller Arten, sie besuchte Menschen, die die Liebe nicht kannten und auch keine Güte. Aber auch dabei blieb es nicht: Im Jahr 1836 absolvierte Anne mit ihrer Familie eine Frankreichreise. Die Familie besuchte dort ein Gefängnis. Und wenn Sie sich jetzt ein heutiges Schweizer Gefängnis mit Zellen und genügend Essen vorstellen, dann liegen Sie mit ihren Vorstellungen falsch: Das Gefängnis war ein Ort, an welchem Sträflinge in Ketten gelegt und brutal misshandelt wurden. Es war ein aus heutiger Sicht empörender Umgang, den man damals mit den Häftlingen pflegte. Obwohl Anne eine körperlich zerbrechliche Frau war – sie war oftmals bettlägerig – hatte Anne einen starken Charakter. Anne, meine Damen und Herren, deren Bild Sie an der Leinwand sehen können, Anne, steht am Ursprung dessen, was uns heute hier zusammenführt. Anne bereitete mit ihrer Menschlichkeit, mit ihrem Mitgefühl, mit ihrem Vorbild den festen Grund, auf den später der Grundstein für das Schweizerische Rote Kreuz gelegt werden sollte, Denn ohne Anne, ja Sie ahnen es wohl, wäre der Gründer des Roten Kreuzes kaum je empört gewesen über Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit, kaum je berührt von menschlichem Leid und Not, kaum ein Leben lang getrieben vom Wunsch, dem leidenden Mitmenschen beizustehen. Anne hiess mit vollständigem Namen: Anne-Antoinette Dunant-Colladon und sie war die Mutter von Henry Dunant, dem Gründer des Roten Kreuzes. Sie gehört damit zu den Heldinnen in der Geschichte des Roten Kreuzes - dem Zeitgeist entsprechend unbekannt und ungewürdigt. Und es ist eine bittere Episode der Geschichte, dass sich Henry Dunant aus Furcht vor Strafverfolgung nicht einmal zur Beerdigung seiner Mutter in seine Heimatstadt zurück traute. Dank an SpenderInnen und Freiwillige Und heute, 182 Jahre nach dem Gefängnisbesuch von Anne mit ihrem Sohn Henry, stehe ich vor Ihnen, Sie und ich als Teil dieser Rotkreuzbewegung, und ich darf Ihnen berichten, was wir in einem weiteren erfolgreichen Vereinsjahr erlebt haben und welche Menschen in Not von uns unterstützt worden sind. Im Jahr 2017 haben rund 73‘000 Mitglieder, Gönner und Unterstützerinnen dem SRK Zürich gespendet und das SRK Zürich konnte sich somit seiner Kernaufgabe widmen, sich um die Verletzlichsten zu kümmern. Ich stehe heute hier, um dieser eindrücklichen Zahl von Menschen und Institutionen zu danken. Danken für die vielen Spendengelder, die das SRK Kanton Zürich weitergeben durfte, danken aber auch für die viele Zeit, die freiwillig geleistet wurde. Unsere Freiwilligen im Rotkreuz-Fahrdienst beispielsweise haben 2017 über 2 Millionen Kilometer Fahrdienst geleistet. Das entspricht 5 Mal der Distanz zwischen Erde und Mond. Dabei wurden 10‘300 kranke, rekonvaleszente, betagte oder behinderte Menschen zum Arzt oder in die Therapie begleitet. Bei der Aktion 2x Weihnachten – meinem persönlichen Highlight - wurden 27 Tonnen Geschenke an 50 soziale Institutionen in Zürich ausgeliefert – mit der Hilfe von 24 Freiwilligen, unter ihnen Eislaufkönigin Sara Meier. Im Jahr 2017 spendeten beeindruckende 2700 Freiwillige 191‘000 Einsatzstunden an Zeit für Vulnerable im Kanton Zürich. 371 Freiwillige des Jugendrotkreuzes haben 1000 Kinder und 660 Erwachsene unterstützt und begleitet. Dank an Mitarbeitende Die hervorragenden Leistungen in allen Sparten unseres Vereins verdanken wir in erster Linie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie alle arbeiten hoch professionell und mit gutem Geist. Herzlichen Dank für den grossartigen Einsatz. Der Vorstand des SRK Zürich hat grosse Freude an der hervorragenden Arbeit unserer Geschäftsleitung. Ganz herzlichen Dank an Silvia Wigger Bossardt, Hubert Kausch, Romy Bohnenblust, Silvia Kägi, Barbara Aschwanden, Eve Ehrensperger Sharan, Susanna Lichtensteiger und Marcel Fritsch. Ich kann nicht genug betonen, dass alle 8 hoch professionelle Arbeit leisten. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Geschäftsleitung derart positiv unterwegs ist, wir sind uns dessen voll und ganz bewusst. Und dies verdanken wir in erster Linie der Vorsitzenden der Geschäftsleitung, Silvia Wigger Bosshardt. Silvia ist eine vorbildliche Führungskraft, welche die Geschäfte äusserst effizient, geschickt und erfolgreich führt. Dank an Vorstand Aber auch über den Vorstand des SRK Zürich kann ich nur Gutes berichten. Wir sind ein gut eingespieltes Team, das sich fachlich und menschlich hervorragend ergänzt. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Matthias Mölleney (Vizepräsident), Andrea Rieder, Luzi Bernet und Stefan Leimgruber, Julia Hug, Johannes Trachsler und Heidi Berger für eine ausserordentlich inspirierende Teamleistung in äusserst angenehmer Atmosphäre. Die grossen Herausforderungen Für die Zukunft, meine Damen und Herren, ist unser Hilfswerk gut gerüstet. Wir sind da für Menschen, die arm sind, Menschen die Betreuung und Pflege benötigen, wir sind da für Menschen, die fliehen mussten, um dem Krieg zu entrinnen. Wir sind da für Menschen, die im Kanton Zürich leben und aus dem sozialen Netz gefallen sind. Wir sind da für verletzliche Menschen, die in irgendeiner Form unserer Zuwendung bedürfen. Unser Netz ist weit gespannt und fest etabliert. Wir sind da. Dank seiner Mutter lernte Henry Dunant früh, den Blick für die in Not geratenen und auf Hilfe angewiesenen Mitmenschen zu schärfen. Mit diesem scharfen Blick, mit dem wir auch neue, zukünftige Bedürfnisse erkennen wollen, machen wir uns zuversichtlich auf in ein neues Vereinsjahr. Es gilt das gesprochene Wort anlässlich der Mitgliederversammlung des SRK Kanton Zürich, deren Präsidentin Barbara Schmid-Federer damals war. [1] Frauengestalten um Henry Dunant, Hans Ammann, Henry-Dunant-Museum Heiden, 2000 licken.
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