Der Schutz von Minderheiten ist ein Gradmesser für jede Demokratie.
Intakte demokratische Staaten schützen ihre verschiedenen Minderheiten vor Diskriminierung, vor Benachteiligung, vor Ausgrenzung. Die Demokratie Schweiz sollte diesbezüglich eine Vorbildrolle einnehmen. Tut sie das? Gleichheit vor dem Gesetz Minderheiten in der Schweiz sind durch unsere Grundrechte geschützt: So soll die Würde des Menschen geachtet und geschützt werden. Gemäss Artikel 8 der Bundesverfassung sind alle Menschen gleich vor dem Gesetz. Ebenso hat jeder Mensch das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. Jede Person soll zudem ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei wählen können. Einen besonderen Schutz wird in der Schweizerischen Bundesverfassung den sprachlichen Minderheiten zugeordnet. Das ist die Theorie. Doch wie steht es um die Praxis? Als ich im zarten Alter von 6 Jahren den ersten Klassenraum betrat, stellte ich zuerst einmal fest, dass meine Muttersprache – ein lupenreiner Dialekt aus dem Dorf Entlebuch – auf dem „Züriberg“ schlecht ankam und zum Teil gar nicht verstanden wurde. So rasch als möglich eignete ich mir ein tadelloses „Züritüütsch“ an, denn negativ aufzufallen war das Letzte, was ich mir in der Schule ersehnte. Konfessionelle Diskriminierung Doch es sollte nicht lange dauern, bis mir bewusst wurde, dass der Dialekt alleine noch keine Zürcherin aus mir machte: Ich gehörte der falschen – der katholischen – Kirche an. Während des reformierten Religionsunterrichts musste ich zusammen mit meiner Freundin das Klassenzimmer verlassen und draussen warten, bis die Stunde zu Ende war. Für uns beide war von der katholischen Kirche her ein persönlicher Religionsunterricht organisiert worden – natürlich nicht gleichzeitig, sondern während der schulfreien Zeit. Erst später erfuhr ich, dass katholische Religionslehrer bis Anfang der 80er Jahre in keinem öffentlichen Schulhaus Zürichs geduldet waren. Als Mitglied der katholischen Kirche gehörte ich einer Minderheit an, welche sich über Jahrzehnte Gehör verschafften musste. Heute, im 21. Jahrhundert, ist sie endlich akzeptiert. Die juristische Gleichstellung kam für die Katholiken mit dem Kirchengesetz von 1963, das der römisch-katholischen Kirche die öffentlichrechtliche Anerkennung des Staates brachte. Bis heute gibt es aber Vertreter der Oberschicht Zürichs, die sich von Persönlichkeiten katholischer Herkunft abgrenzen. Gleiches geschah und geschieht analog dazu in der katholischen Innerschweiz gegenüber Angehörigen der reformierten Kirche. Polemik gegen „Gutmenschen“ Wer sich heute für Minderheiten einsetzt, wird rasch als „Gutmensch“ beschimpft. Gegen „Gutmenschen“ wird Politik betrieben. „Ich bin allergisch auf das Gutmenschentum, auf Leute, die sich auf einer moralisch höheren Stufe wähnen und hochtrabend und unehrlich auftreten – diese Haltung kann ich nicht ausstehen“, liess sich etwa Nationalrat Roger Köppel unlängst im Tages-Anzeiger zitieren. Minderheiten sind etwa Muslime, Juden, Roma oder Schwarze. Schweizer Hilfswerke wie das Schweizerische Rote Kreuz setzen sich für diejenigen Minderheiten ein, welche im staatlichen Bereich durch die Maschen gefallen sind: Menschen am Rande der Gesellschaft, Menschen, die unter dem Existenzminimum leben, Menschen, die krank sind oder Flüchtlinge. Sie setzen sich ein für die Verletzlichsten. Würden wir von heute auf morgen alle Hilfswerke aufheben, wäre der Staat Schweiz heillos überfordert, die Gesellschaft würde implodieren, es gäbe ein Chaos. Die Politik ist gefordert Der Zustand einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie sie mit ihren gesellschaftlichen Minderheiten umgeht – seien dies Ausländerinnen, Behinderte oder Homosexuelle. Als erster Akteur in Sachen Umgang mit Minderheiten fungiert aber die Politik. Sie muss sich darauf besinnen, Extremismus, Rassismus und Antisemitismus zu verurteilen, mit klaren Statements von Politikerinnen und Politikern aus allen Parteien. Diese können, beziehungsweise sollen, aufgrund ihrer Vorbildfunktion Präventionsarbeit leisten. Wünschenswert wäre zudem eine grössere Verbindlichkeit der Antirassismus- und Antisemitismusprävention im Bildungswesen. Dabei geht es nicht einfach nur um Moral und Erziehung, sondern in erster Linie um Vernunft. Ausgrenzung und Diskriminierung untergraben die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft. Nicht nur „Gutmenschen“ sollen aus Überzeugung Minderheiten gegen diese gefährlichen Tendenzen verteidigen, sondern alle, die einen ungetrübten Blick auf die Wirklichkeit haben. Herz und Verstand sind gleichermassen gefordert Was damals eine Katholikin in Zürich war, ist heute eine Muslima in der Schweiz. Sie gehört einer religiösen Minderheit an, spricht zuhause oftmals eine andere Sprache, besucht einen separaten Religionsunterricht, ihre Eltern haben unterschiedliche Erwartungen an ihre gesellschaftliche Stellung, gewisse Gesellschaftsschichten sind ihr nur schwer zugänglich. Warum ich mich nun für eine solche Frau einsetze? Weil ich aus der Geschichte gelernt habe. Gutmenschentum hin oder her.
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