Vor 10 Jahren war ich eine der ersten PolitikerInnen, welche Facebook als Instrument für das öffentliche Wirken nutzte. Der Politologe Mark Balsiger hat dies damals zum Anlass genommen, meine Facebook-Aktivitäten in einem Wahlkampfbuch zu beleuchten.
Damals lernte ich aber auch von Internet-Experten, dass Facebook eine öffentliche Plattform sei: Während die meisten Facebook-User das Gefühl hätten, eine gewisse Privatsphäre sei dort gegeben, sei dem eben nicht so. Was auf Facebook publiziert ist, ist für immer der Öffentlichkeit preisgegeben und kann auch noch Jahrzehnte später auf dem Netz gefunden werden. Aus diesem Grund habe ich mich auf Facebook nie mit der eigenen Familie „befreundet“ und nie private Bilder von ihnen gepostet. Vor 10 Jahren war Facebook eine immense Hilfe für mich, denn als Quereinsteigerin hatte ich keine Tools, um Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. So benutzte ich damals die revolutionär neue Plattform, um meine Meinungen kund zu tun und wurde auch deswegen überraschend gewählt. In der Zwischenzeit hat sich vieles verändert: PolitikerInnen und Journalisten tummeln sich heute auf Twitter, wo ich mich persönlich sehr wohl fühle. Facebook ist je länger je unpolitischer geworden. Nationalräte heute benutzen die Plattform oftmals, um Ferienfotos oder sympathische Bilder über sich selber zu veröffentlichen. Eine Art Narzissmus hat Einzug genommen. Fehler Nummer 1, gemäss Polizei, ist das bekannt geben von Ferienabwesenheiten auf Facebook. Nun ist es so, dass viele User auf Facebook bekannt geben, wo sie gerade in den Ferien sind und wie es dort aussieht. Das erachte ich als verantwortungslos, denn längst haben Diebe dieses Tool entdeckt, um bei Ferienabwesenheit einzubrechen. Viele Eltern posten regelmässig Bilder ihrer kleinen Kinder. Dies erachte ich als Missbrauch der Kinder selber, denn diese werden sich vielleicht in 20 Jahren schämen, dass solches Material von ihnen ins Netz gesetzt worden ist. Meine Kinder haben früh gelernt, dass es wünschenswert ist, auf Facebook keine privaten Details bekannt zu geben und dass es erlaubt ist, auf Facebook die Wahrheit zu verdecken. Viele Jugendliche haben sich längst aus Facebook zurückgezogen. Dort lauern zu viele Grosseltern und Eltern, die das Tool nutzen, um ihre Kinder kontrollieren zu können. Es ist bekannt, dass es vielen Jugendlichen schwer fällt, sich auf Facebook nicht mit ihren Eltern zu befreunden. Jugendliche wollen unter ihresgleichen im Netz kommunizieren. Gerade weil ich seit Jahren die Schattenseiten von Facebook kenne und thematisiere, fühle ich mich seit längerem unwohl auf einer Plattfom, die zunehmend private Züge annimmt. Nach langem Überlegen bin ich Mitte August zum Schluss gekommen, dass ich nicht auf einer Plattform bleiben sollte, auf welcher ich mich unwohl fühle. Deshalb habe ich mein Facebook-Konto gelöscht. Das ist aber kein Rückzug aus den Social Medias. Ihr findet mich weiterhin auf Twitter, Xing und LinkedIn, etc. Gleichzeitig bleibe ich offen für Neues.
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Nach der Debatte im Nationalrat über das dunkle Kapitel der Schweizer Verdingkinder fragte mich eine Studentin, warum um Himmels Willen damals niemand etwas getan habe, um die Gräueltaten gegen diese wehrlosen Menschen zu verhindern. Ich gab ihr zur Antwort: die Generation meiner Enkel wird uns fragen, warum um Himmels Willen wir nichts getan hätten, als Tausende von Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken seien. Wir hätten nicht nur zugeschaut: Wir hätten sogar gleichzeitig unsere Ferien am Mittelmeer genossen – als ob nichts geschehen wäre.
Warum kümmert uns das Massengrab Mittelmeer so wenig? Zu lange haben wir gebetsmühlenartig gehört, die Menschen im fernen Süden seien faul und eh nur Wirtschaftsflüchtlinge. Zu lange haben wir hilflos zugeschaut, wie durch den IS Terroranschläge nicht nur in Paris oder Brüssel, sondern fast täglich in Afghanistan, Irak oder Syrien verübt werden. Längst haben wir uns abgewöhnt, Empathie für Menschen auf der Flucht aufzubringen. Wir finden, irgendwie seien die dort ja selber schuld. Auf die Frage, wie wir die Flüchtlingsströme Richtung Europa verhindern könnten, fehlen uns schlicht die Antworten. Eine hochrangige, international tätige Schweizerin erklärte mir vor kurzem, man wisse heute, dass man durch das Stoppen von Waffenexporten einen beachtlichen Teil der Flüchtlingsströme beenden könne, doch kaum jemand wolle dies zur Kenntnis nehmen. In der Tat: Dieses Argument sticht nicht im bürgerlichen Nationalrat. Dabei blenden wir aus, dass es für die Völkerwanderung Gründe gibt, die es zu bedenken gilt. Unser Wohlstand verdrängt die Fakten: Wir müssen zwingend die Frage beantworten, wie wir Vertriebenen aus Syrien eine Alternative zum gefährlichen Weg nach Europa bieten können. Diese Debatte ist längst überfällig. Doch was tun wir? Wir diskutieren über ein Burkaverbot. Wer als Flüchtling zu uns kommt, ist oftmals muslimischen Glaubens. Das Christentum lehrt zwar eindringlich, dass Menschen immer als Menschen zu beurteilen seien, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihrem Glauben (das Gleichnis des Samariters lässt grüssen). Doch das lässt die hiesige Christenheit kalt. Wir haben Angst, das christliche Religions- und Kulturgut zu verlieren und wehren uns gegen eine angeblich drohende Islamisierung der Schweiz. Dabei blenden wir aus, dass die christliche Substanz des sogenannten Abendlands mit oder ohne Muslime längst in Auflösung begriffen ist. Unsere Angst verdrängt die Fakten: Wir müssen zwingend die Frage beantworten, wie das Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen in Zukunft gelingen soll. Diese Debatte ist längst überfällig. Doch was tun wir? Wir diskutieren über ein Burkaverbot. Europa war während langer Zeit eine Hochburg der Zivilisation. Der Zusammenschluss der Europäischen Staaten nach dem zweiten Weltkrieg ermöglichte uns ein Leben in Frieden und Wohlstand. Diese Zeiten sind vorbei. Asiatische Länder laufen uns den Rang ab. Dabei blenden wir aus, dass wir es verpasst haben, Lösungen für Wirtschaftskrisen vorzubereiten. Unser Narzissmus verdrängt die Fakten: Wir müssen zwingend die Frage beantworten, wie wir innovativ mit neuen Weltmärkten umgehen wollen. Diese Debatte ist längst überfällig. Doch was tun wir? Wir diskutieren über ein Burkaverbot. Die Schweiz kennt eine langjährige Kultur der Bescheidenheit und der Kompromisssuche. Diese Werte gilt es aus der Mottenkiste hervorzuholen. Die Herausforderungen von Terrorismus, Extremismus, Migration und Integration sind viel umfassender als nur die Ebene religiöser Symbole. Die Diskussion über ein Burkaverbot ist deshalb reine Zeitverschwendung, denn sie lenkt nur davon ab, Lösungen zu den echten, tiefer liegenden Problemen zu erarbeiten. Nutzen wir die Zeit und überlegen wir uns, wie wir als Zivilgesellschaft das Zusammenleben von Fremden und heimischen Menschen einüben können, als eine ganz bestimmte Kleiderkultur zu verbieten, die zudem bloss eine verschwindende Minderheit betrifft. |
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