Die da oben in Bern“ handeln nicht, „die da oben in Bern“ wollen Pädophile schützen, das Volk brodelt, das Volk kennt keine Gnade mehr. Dies ein kurzes Stimmungsbild zur Pädophilen-Initiative, über welche das Schweizer Volk am 18. Mai befinden wird. Die Initiative gibt vor, Kinder vor Übergriffen durch Pädophile zu schützen, indem alle Täter zwingend lebenslang mit einem Berufsverbot mit Kindern versehen werden.
Volksnahe Initiativen versus Schutz der Bevölkerung Gesetze sind dazu da, Menschen zu schützen und Täter angemessen zu bestrafen. Der einzelne Täter muss massgeschneidert bestraft werden, die Strafe muss real gebüsst werden. In den vergangenen Jahren ist es Usus geworden, Initiativen zu schreiben, welche das Kind mit dem Bade ausschüttet: Die Strafe wird unangemessen hoch angesetzt; es wird in Kauf genommen, dass unschuldige Menschen von der Strafe ebenfalls betroffen sind. Im Fall der Pädophilen-Initiative wären dies junge Männer ab 19 welche mit unter 16-jährigen Mädchen Geschlechtsverkehr haben. Wir reden hier von der verbotenen Jugendliebe, welche nach Annahme der Initiative absurderweise ebenfalls dem Verdikt des Berufsverbots unterstellt sein würde. Populismus gaukelt eine um „Nähe zum Volk“ bemühte Politik vor, die Unzufriedenheit und Ängste ausdrückt. Die Gefühle der Menschen werden instrumentalisiert, indem sie zuerst angesprochen werden, um dann vermeintlich simple Lösungen vorzustellen, welche meist nicht realisierbar sind. Die Pädophilen-Initiative eignet sich dazu hervorragend: Wo immer von sexuellen Übergriffen gegenüber Kindern gesprochen wird, versprechen rechts-populistische Politikerinnen und Politiker, die definitive Lösung des Problems zu haben, sei es mit der Unverjährbarkeitsinitiative, der Verwahrungsinitiative oder eben der Pädophilen-Initiative. Wir haben uns daran gewöhnt, populistische Initiativen anzunehmen, ohne uns darüber im Klaren zu sein, dass wir damit nicht nur unser hervorragendes Rechtssystem, sondern auch unseren sozialen Frieden gefährden. Unkritische Wertediskussion Die Pädophilen-Initiative ist ein Musterbeispiel für eine unkritische, populistische Wertediskussion, weil sich hier zeigt, wie Moral durch Moralismus ins Gegenteil verkehrt wird und wie aus einer vielleicht gut gemeinten abstrakten Werterhaltung - Schutz des Kindes geht über alles - ethisch und politisch unverantwortliche Normen folgen können. Wir reden hier vom "Sündenbock-Mechanismus". Die vielen BefürworterInnen der Pädophilen-Initiative sind sich sicher, gute Menschen zu sein und arme Kinder gegen böse Menschen zu verteidigen. In ihrem aufgeheizten Moralismus sehen sie gar nicht mehr, dass sie jeden Realitätssinn, jedes Differenzierungsvermögen verlieren. Alles Böse dieser Welt wird auf eine kleine Gruppe von Sündenböcken projiziert. Indem diese in die Wüste gejagt, einsperrt oder am besten gleich vernichtet werden, geben sie sich dem Wahn hin, damit auch alles andere Böse vernichtet zu haben, es muss nur radikal genug und gnadenlos ausgerottet werden. Und das Beste am Ganzen: Selber bleiben sie sauber, anständig und schuldlos, als guter Mensch. Und wenn ein Sündenbock geschlachtet ist, suchen sie neue: Sozialschmarotzer, Asyltouristen, zwischendurch auch mal Abzocker, warum nicht wieder einmal eine Hexe? Dieser ganze Prozess wird durch Medien und Empörungspolitik permanent neu angeheizt. Nein zur Pädophilen-Initiative Sachlich gesehen gibt es zahlreiche Gründe, warum die Pädophilen-Initiative abzulehnen ist. Nebst der bereits genannten Jugendliebe, ist der Gegenvorschlag des Parlaments zu nennen, der 2015 in Kraft treten wird und dem Anliegen der Initiative viel besser Rechnung trägt. Die Initiative ist neben ihrer Unverhältnismässigkeit auch noch unvollständig. Der Gegenvorschlag umfasst viele zusätzliche Instrumente, welche die Initiative gar nicht anspricht, namentlich ein Kontakt- oder Rayonverbot sowie einen Sonderstrafregisterauszug. Zudem suggeriert die Initiative, sie sei eine umfassende Lösung des Problems – dabei richtet sie weder gegen Pädokriminelle in der Familie, im öffentlichen Raum, noch generell gegen Ersttäter etwas aus. Die Initiantinnen und Initianten der Pädophilen-Initiative haben den Verschärfungen, welche das Parlament bereits beschlossen hat, nicht zugestimmt. Das spricht Bände. Wäre es ihnen um die Sache gegangen, hätten sie den Gegenvorschlag unterstützt. Der politische Ton hat sich in den vergangenen Jahren markant verschärft, das Wort Nulltoleranz ist auch gegenüber Politikerinnen und Politikern angekommen. Die Werte unseres Landes verschieben sich, sie werden gnadenloser und zusehends enger interpretiert. Langsam aber sicher greifen wir wieder auf mittelalterliche Rituale zurück und sperren alles weg, was uns empört. Das Wort „Pranger“ ist bereits salonfähig geworden. Als Volksvertreterin bin ich nicht dazu da, dem Bauchgefühl der Bevölkerung hinterherzurennen, was aber nicht bedeutet, dass ich das Bauchgefühl nicht kenne. Es ist meine Aufgabe, sachlich zu bleiben und dem Volk zu erklären, dass wir ein Gesetz gegen Pädokriminelle geschrieben haben und dafür zu kämpfen, dass dieses unverändert in Kraft treten kann. Bei Annahme der Initiative wäre dies nicht möglich. Meine Aufgabe ist es, die Verfassung zu schützen und unseren Rechtsstaat zu bewahren. Vielen Menschen ist nicht bewusst, was in einem Staat geschieht, in welchem kein Recht mehr da ist, welches die Bürgerinnen und Bürger schützt. Wer Anschauungsunterricht in Sachen Populismus haben will, kann gerne in die Schweiz kommen und die aktuelle Pädophilen-Debatte mitverfolgen: Das ist Populismus vom feinsten. Finden wir den Weg zurück zur Sachpolitik: Dazu braucht es Menschen, welche auf allen Ebenen daran arbeiten. Wir alle sind gefordert.
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Mein ganzes politisches Leben setze ich mich für einen umfassenden Kinderschutz ein. Gerade deshalb lehne ich die Initiative ab. Sie ist nämlich nicht nur überflüssig, wie Ihnen eben mein Kollege Flach erklärt hat, sie ist – was noch schlimmer ist – auch unsorgfältig formuliert, unvollständig und gaukelt darum eine Lösung vor, die sie nicht bietet.
Ich nennen Ihnen drei Beispiele: Wenn es das unbestrittene und dringliche Ziel ist, unsere Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen, reicht es nicht aus, Täter ausschliesslich bei einem Sexualdelikt mit einem Berufsverbot zu belegen. Was ist mit jenen, die Kinder körperlich verletzen, sie an Leib und Leben bedrohen? Solche Täter wollen die Initianten weiter mit Kindern arbeiten lassen. Ich meine: Wenn wir schon Gesetze ändern, dann richtig: Ein Tätigkeitsverbot soll nicht ausschliesslich bei Sexualdelikten gelten, sondern ausnahmslos bei allen Verbrechen an Kindern. Kinder müssen umfassend geschützt werden von sämtlichen Formen von Gewalt. Der Bundesbeschluss des Parlamentes ist hier im Gegensatz zur Initiative vollständig und klar. Die grösste Schludrigkeit der Initiative besteht darin, dass der private Bereich von ihr gar nicht erfasst wird. Dabei wissen wir alle, dass die meisten sexuellen Übergriffe auf Kindern im Familienumfeld geschehen. Die Initiative hat hier nicht den Ansatz einer Lösung. Wir schon, nämlich das vom Parlament im neuen Gesetz verankerte Kontakt- und Rayonverbot. Das heisst konkret: Einem Täter wird verboten, mit Minderjährigen in Kontakt zu treten, auch wenn er zum Beispiel Schlosser ist oder Ingenieur und nicht Lehrer oder bezahlter Juniorentrainer. Dieses Verbot kann auch mit elektronischen Fussfesseln mit GPS-Überwachung durchgesetzt werden. So sehen effektive Lösungen aus. Die Initiative bietet auch hier keine. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlamentes schliesst zudem eine weitere Lücke der unvollständigen und unsorgfältigen Initiative: dank eines speziellen Strafregisterauszugs können Arbeitgeber und Vereine einfach und systematisch abklären, ob gegen einen Mitarbeiter oder einen Bewerber ein Verbot vorliegt. Damit werde Kinder nicht nur im schulischen Umfeld Schule besser geschützt, sondern auch im Privatbereich, zum Beispiel im Sportverein oder im familiären Umfeld. Kinderschutz Kinderschutz ist eines meiner Kernanliegen seit vielen Jahren überhaupt. Ich habe es deshalb satt, als „Pädophilen-Freundin“ verunglimpft zu werden von Kreisen, die mit einer unsorgfältigen, unvollständigen und darum untauglichen Initiative zu einem ernsten und wichtigen Thema nur Polemik statt Lösungen bieten. Wir alle teilen die Auffassung, dass Kinder als schwächste Mitglieder unserer Gesellschaft unbeschwert und vor allem auch unversehrt aufwachsen sollen. Aus diesem Grund haben wir im Parlament einen harten und korrekten Gegenvorschlag beschlossen. Wir brauchen die Initiative nicht, weil das Parlament längst gehandelt hat, mit einem lückenlosen Bundesbeschluss. Klares Nein zur Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen.
Eidgenössische Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 Die Volksinitiative mit dem Titel „Pädophile dürfen nicht mehr mit Kindern arbeiten“ klingt vernünftig: Jeder und jede möchte unsere Kinder vor Pädokriminellen schützen. Konkret verlangt die Initiative, dass, wer wegen eines Sexualdelikts mit Kindern verurteilt wurde, zwingend und automatisch einlebenslanges Verbot erhält, mit Kindern zu arbeiten. Die Initiative gehört klar abgelehnt, weil sie überflüssig, unvollständig und unverhältnismässig ist. Überflüssig Die Initiative ist überflüssig, weil das Parlament einen Gegenvorschlag beschlossen hat, der voraussichtlich am 1. Januar 2015 in Kraft tritt und der die Anliegen der Initiative im Kern mehr als erfüllt. Dieser sieht für sexuelle Handlungen mit Kindern und Abhängigen bei einer gewissen Schwere zwingend ein automatisches Tätigkeitsverbot von 10 Jahren vor, das, wenn nötig, lebenslänglich sein kann. Schwere Täter werden also gleich hart angefasst wie in der Initiative. Unvollständig Die Initiative ist unvollständig. Der Gegenvorschlag umfasst zusätzliche Instrumente, welche die Initiative gar nicht anspricht, namentlich ein Kontakt- oder Rayonverbot sowie einen Sonderstrafregisterauszug. Zudem suggeriert die Initiative, sie sei eine umfassende Lösung des Problems – dabei löst sie weder Probleme betreffend Pädophile in der Familie oder im öffentlichen Raum, noch richtet sie etwas gegen Ersttäter aus. Unverhältnismässig Die Initiative ist unverhältnismässig, weil sie über das Ziel hinausschiesst. Zum einen unterscheidet sie nicht zwischen echten Pädokriminellen (jemand, der ein 10-jähriges Mädchen schändet) und Sexualdelikten unter Jugendlichen (ein 19-Jähriger, der eine 15-Jährige anfasst). Mit dem Automatismus des Arbeitsverbots würden auch Einzelfälle wie eine Jugendliebe erfasst. Ein 19-Jähriger der mit einer 15-Jährigen eine einvernehmliche Liebesbeziehung eingeht und deshalb bestraft wird, dürfte nie mehr soziale Arbeit mit Kindern leisten oder eine Juniorenmannschaft trainieren dürfen. Das ist absurd. Zudem: Ein Jugendlicher, der einem anderen Jugendlichen unter 16 Jahren per Handy ein pornographisches Video schickt, macht sich deswegen strafbar. Er würde vielleicht mit einem Verweis oder einigen Tagen persönlicher Leistung bestraft werden. Nach Annahme der Initiative müsste er automatisch, also ohne Abklärung, mit einem lebenslangen Tätigkeitsverbot belegt werden. Das ist absolut unverhältnismässig. Die Schwere der Straftat ist den Initiantinnen und Initianten egal. Es wäre ein absolut falsches Signal gegenüber unseren Kindern, solche Jugendlichen mit Pädokriminellen gleichzusetzen. Die Initiative unterscheidet auch nicht zwischen unheilbaren Triebtätern und Menschen, die keine Gefahr mehr darstellen, sei es weil sie definitiv therapiert sind oder eine Tat nur aus früheren Lebensumständen heraus begingen. Der Schutz von Kindern und ihrer körperlichen, geistigen und sexuellen Integrität ist ein zentrales Anliegen unserer Gesellschaft. Wir alle teilen die Auffassung, dass Kinder als schwächste Mitglieder unserer Gesellschaft unbeschwert und vor allem auch unversehrt aufwachsen können. Aus diesem Grund haben wir einen harten, aber korrekten Gegenvorschlag verabschiedet. Ich stehe aber auch ein für den Rechtsstaat. Eine seiner tragenden Säulen ist das Prinzip der Verhältnismässigkeit. Jeder Mensch – sogar ein Straftäter – hat Anspruch darauf, dass nur angemessene, nicht drakonische Sanktionen gegen ihn oder sie ergriffen werden. Würden wir im Strassenverkehr dieselben Massstäbe ansetzen wie die Initiative, müssten wir wegen jedem Strassenverkehrsdelikt einen lebenslangen Führerscheinentzug anordnen, auch bei einer Parkbusse. Rechtsstaat bedeutet immer Rechtssicherheit.Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf das Recht verlassen können; es schützt sie. „Ja zur Initiative“ bedeutet Abkehr vom Rechtsstaat. „Ja zur Initiative“ ist billiger Populismus, der einer staatstragenden Mittepartei nicht würdig ist. Daher sage ich NEIN zu dieser unnötigen, unvollständigen und unverhältnismässigen Initiative. |
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