Knapp ein Viertel der Schweizer Jugendlichen versteht gemäss Pisa-Studie am Ende der obligatorischen Schulzeit einfache Texte nicht, d.h. sie sind nicht in der Lage, relevante Informationen in Texten zu finden, geschweige denn, das Gelesene zu bewerten oder darüber zu reflektieren.
Die grosse Mehrheit dieser Jugendlichen hat in ihrer Kindheit ein zentrales Element für die Stärkung der Sprachkompetenz verpasst: Ihnen wurde im entscheidenden Alter ab Geburt bis 8 Jahren nicht vorgelesen. Dem will der Schweizer Vorlesetag, der dieses Jahr am 26. Mai 2021 stattfindet, entgegenhalten. An diesem Tag wird in der ganzen Schweiz vorgelesen. Die unterschätzte Zuhörkompetenz «Zuhören» ist uns nicht einfach gegeben, «Zuhören» müssen wir erlernen und zwar von Klein auf. Das «Zuhören» ist ein zentraler Faktor für das Erlernen des Spracherwerbs, für das Erlernen der Lese- und Schreibkompetenz. Ganz entscheidend für die Entwicklung der Zuhörkompetenz ist das Vorlesen, das in den Familien der Kinder stattfindet – oder eben nicht. Es wird immer wieder unterschätzt, wie stark Kinder durch das Zuhören in ihrer Konzentrationsfähigkeit gestärkt werden und inwiefern dies einen Einfluss auf die Entwicklung ihres Wortschatzes hat. Hören Kinder beim Vorlesen zu, erhalten sie ein Gefühl für zeitliche Abläufe und den Aufbau von Geschichten. Zusätzlich wird ihre Fantasie angeregt, wenn sie durch das Gehörte innere Bilder entwickeln, die sie schliesslich auch selber zum Ausdruck bringen können. Warum Vorlesen Wer seinen Kindern Geschichten vorliest, stärkt zuerst einmal die eigene Beziehung zum Kind, denn das gemeinsame Erlebnis und die Zeit, die miteinander verbracht wird, bietet den Kindern Nähe und Aufmerksamkeit. Vorlesen unterstützt aber auch die Entwicklung von sozialen und emotionalen Kompetenzen der Kinder. Geschichten bieten ihnen neue Weltsichten und Realitäten, an denen sie eigene Erfahrungen und Gefühle spiegeln können. Vorlesen regt zu Gesprächen über das Gehörte an. In dem über Geschichten gesprochen wird, können Kinder anteilnehmen, mitfühlen und Konflikte miterleben. Dies kann ihnen dabei helfen, eigene Probleme und Sorgen zu verarbeiten. Beim Vorlesen erwerben Kinder auf spielerische Art wichtige Fähigkeiten, die für das spätere Lesen und Verstehen von Texten wichtig sind: Sie nehmen unbewusst Erzähl- und Sprachmuster wahr, hören, wie Sätze gebildet werden und werden mit schriftsprachlichen Ausdrücken vertraut. Dadurch wird die Sprachkompetenz gestärkt, was dazu führt, dass sie besser Lesen und Schreiben lernen. Vorlesen schafft aber auch erste Berührungspunkte mit Literatur und führt Kinder an unsere Schrift- und Buchkultur heran. Indem wir Kindern (Bilder-)Bücher vorlesen, lassen wir sie an unseren Geschichten und unseren Erzählformen teilhaben und zeigen ihnen nach und nach unsere Welt. Wer vorliest, macht es vor: Lesen bereitet Freude! Wenn wir Kindern vorlesen, zeigen wir ihnen, wie packend die literarische Welt sein kann und wir machen sie neugierig auf all die unbekannten Welten, die in den Büchern verborgen liegen. Vorlesen trägt so zur Entstehung eines positiven Bezugs zum Lesen bei und fördert die Motivation am eigenen Lesen. Bildungschancen ausgleichen Kinder, denen nicht vorgelesen wird, starten demnach mit einem Nachteil ins Schulleben. Es ist im Interesse der gesamten Gesellschaft, diese Nachteile auszugleichen und so die vorhandenen Potenziale dieser Kinder zu nutzen. Dieser Ausgleich kann einerseits geschaffen werden, indem in Bildungseinrichtungen wie Kindergarten und Schulen durch entsprechende Angebote das aktive Zuhören und damit die Sprachentwicklung aller Kinder gefördert wird. Auf der anderen Seite sind kreative Ansätze wie der Schweizer Vorlesetag ein wichtiger Faktor, um dem Anliegen den nötigen Anschub zu geben. Das Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM, Initiant des Vorlesetags, möchte das Bewusstsein für die Wichtigkeit des Vorlesens schärfen und die Leserinnen und Leser dazu animieren, die Freude an Geschichten und an der Welt der Sprache weiterzugeben. Dabei sind alle Grosseltern, Familien, Paten und weiteren Interessierten dazu eingeladen, am Vorlesetag mitzumachen. Mitmachen ist dabei ganz einfach: Man muss sich dazu nur auf der Website des Schweizer Vorlesetags anmelden (www.schweizervorlesetag.ch) und versprechen, einem oder mehreren Kindern am 26. Mai 2021 eine Geschichte vorzulesen. Dabei ist allen Vorlesenden freigestellt, ob sie zu Hause im kleinen Kreis vorlesen oder sich eine Schulklasse, einen Kindergarten oder eine Spielgruppe suchen und dort vorlesen. Ich freue mich auf eine rege Teilnahme des Anlasses. www.schweizervorlesetag.ch
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